Die beleidigte Zypressenhecke

Veröffentlicht von Wolfgang Raab am

Das sogenannte Überhangsrecht nach § 422 ABGB bildet einen schier unerschöpflichen Fundus für Nachbarschaftsprobleme aller Art und wurde an dieser Stelle schon oft thematisiert. Vereinfacht gesagt darf der Grundeigentümer die in seinen Luftraum ragenden Äste nachbarlicher Bäume und Hecken abschneiden. Dabei hat er aber ein paar Dinge zu beachten, fachgerecht vorzugehen und die Pflanze möglichst zu schonen. Wie schwierig die Auslegung dieser Regelungen in der Praxis sein kann, zeigt folgender Beratungsfall:

Ein Landwirt fühlte sich durch eine Zypressenhecke des Nachbarn gestört und schnitt die über die Grundgrenze in seinen Luftraum hinüber gewachsenen Äste ab. Der Heckeneigentümer behauptete, der Rückschnitt sei ein Bosheitsakt, unsachgemäß erfolgt und habe außerdem die Grundgrenze verletzt. Die Hecke sei nun wertlos, der Beklagte soll für die Kosten des Ausgrabens, Entsorgens und Neupflanzung einer Zypressenhecke aufkommen. Er klagte auf Schadenersatz in Höhe von mehr als 9.000 Euro.

Das Gericht stellte auf Basis eines Sachverständigengutachtens fest, dass beim Rückschnitt zumindest an einigen Stellen die Grundgrenze verletzt worden war. Ein Fachmann hätte an der Grundgrenze geschnitten, das Verhalten war somit unsachgemäß. Jedoch mache es keinen Unterschied, ob die Äste an der Grundgrenze oder an der tatsächlichen Schnittstelle geschnitten wurden, da die Bäume innen bereits weitläufig kahl waren. Es ist keine Regeneration mehr möglich, da Nadelbäume nur aus grünem Holz auswachsen können. Die Schäden können sich nie wieder auswachsen.

In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Bezirksgericht fest, dass der Nachbar die Grenzen des Selbsthilferechts übertreten und sich rechtswidrig verhalten habe. Dadurch würde normalerweise ein Schadenersatzanspruch für den Eigentümer der Hecke ausgelöst. Entscheidend war aber folgender Punkt: Laut Gutachten wäre der Zustand der Hecke in gleicher Art und Weise zustandegekommen, wenn sich der Beklagte rechtmäßig verhalten hätte. In diesem Fall greift das Prinzip des sogenannten rechtmäßigen Alternativverhaltens: Wenn der Schädiger beweist, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich richtig verhalten hätte, entfällt nach herrschender Ansicht die Ersatzpflicht. Die Klage wurde daher durch das LG Linz auch in 2. Instanz und somit rechtskräftig abgewiesen, der Kläger hat die Prozesskosten zu tragen.

Text: Mag. Wolfgang Raab

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